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Magdalena Gössling im Interview

thumbnail Magdalena Gössling (C) Stefan Klüter 003 Titelbild

„Was ist denn jetzt los?“ – wenn ein Schlaganfall alles verändert

Welche ersten Anzeichen Ihres Schlaganfalls haben Sie selbst bemerkt, und wie schnell war Ihnen klar, dass es sich um einen medizinischen Notfall handelt?
Ich war alleine zu Hause, wollte etwas trinken und als ich das Glas an den Mund setzte, lief der Inhalt neben meinem Mund heraus. Als es beim nächsten Ansetzen wieder passierte, wollte ich sagen „Was ist denn jetzt los“, aber die Worte kamen nur undeutlich, klosig aus mir heraus. Ich rief meinen Partner an und konnte einfach nicht sagen, was mit mir los ist. Meine Sprache versagte. Ich war überfordert, konnte meine Symptome nicht zuordnen und mein medizinisches Wissen nicht auf mich selbst anwenden. Aber ich wusste, dass ich Hilfe brauche. Mein Partner ist Neurologe und hat schnell erkannt, dass es sich um einen Schlaganfall handelt und den Notarzt gerufen.
Wie haben Sie den Ablauf der Notfallversorgung erlebt – vom ersten Symptom bis zur Ankunft des Notarztes? Was hat Ihnen in dieser Situation geholfen oder gefehlt?
Kurz nachdem ich meinen Partner angerufen hatte, merkte ich, dass ich mein Handy nicht richtig bedienen konnte. Ich war verzweifelt, dass meine Bewegungen so ungeschickt waren. Ich empfand eine große Hilflosigkeit und es war sehr gut, dass ich mich schnell um Hilfe gekümmert habe. Mein Partner hatte mir zum Glück gesagt, dass ich direkt die Wohnungstür öffnen sollte. Daran hätte ich selbst nicht gedacht. Ich kümmerte mich dann um alle Unterlagen, die in der Notfallversorgung wichtig sind: Ausweis, Krankenkassenkarte, Medikamente, Mutterpass – denn zu dem Zeitpunkt war ich schwanger. Als der Rettungsdienst kurze Zeit später kam, konnte ich nicht mehr laufen. Das Notfallteam war sehr gut und routiniert und hat trotz der Eile Ruhe und Sicherheit ausgestrahlt. Das hat mir sehr geholfen, da ich mich in sicheren Händen fühlte. Aber natürlich fehlte mir die Sprache, um zu berichten, was geschehen war.
Sie schreiben, dass Sie als Ärztin das diagnostische Denken nicht auf sich selbst anwenden konnten. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen, und was können andere daraus lernen, um im Notfall richtig zu handeln?
Ich war in meinen Symptomen gefangen und konnte mich nicht von außen betrachten. Etwas am eigenen Leib zu erleben unterscheidet sich fundamental von der medizinischen Betrachtungsweise von außen. Es ist sehr wichtig irgendwie Hilfe zu finden, sei es am Telefon, bei den Nachbarn oder bei fremden Menschen auf der Straße und nicht zu lange zu warten. Auch wenn die Symptome erstmal klein erscheinen oder sich etwas nur „komisch“ anfühlt, kann es sehr entscheidend sein, früh Andere miteinzubeziehen.
Welche Rolle spielt die schnelle medizinische Versorgung bei einem Schlaganfall für die Prognose und das Ausmaß der bleibenden Schäden aus Ihrer Sicht – auch im Rückblick auf Ihre eigene Erfahrung?
Bei einem Schlaganfall gilt immer „Time is Brain“. Egal ob ein Schlaganfall durch eine Blutung oder durch einen Gefäßverschluss entstanden ist: Es ist wichtig schnell die Diagnostik und auch die Therapie zügig einzuleiten. Denn je länger gewartet wird, kann auch mehr Hirnmasse zerstört werden und in Folge kann es zu schwereren bleibenden Beeinträchtigungen kommen.

Aufgrund der Schwangerschaft war es bei mir nicht ganz einfach eine Entscheidung für das Vorgehen zu finden, weil es ja um zwei Leben ging. Auch wenn die OP bei mir letztendlich später durchgeführt wurde, war es trotzdem sehr wichtig mich direkt unter Beobachtung zu haben, meinen Blutdruck einzustellen, den Zustand der Schwangerschaft einzuschätzen, um notfalls direkt reagieren zu können. Dadurch, dass sich während der ersten Tage im Krankenhaus meine Symptome nicht verschlechterten, konnte davon ausgegangen werden, dass die Blutung durch das entstandene Hämatom sich selbst gestillt hat und durch das Zuwarten nicht noch mehr Hirngewebe zu Schaden kommt.
Was würden Sie Angehörigen oder Betroffenen eines Schlaganfalls raten, um im Ernstfall schnell und richtig zu reagieren? Gibt es typische Fehler, die vermieden werden sollten?
Es gibt eine Test, den auch Laien durchführen können, den sogenannten BEFAST-Test. Dabei steht B für Gleichgewicht (Balance), E für Augen (Eyes) F für Gesicht (Face), A für Arme, S für Sprache und T für Zeit (Time). Treten plötzlich Gleichgewichtsprobleme auf? Oder kommt es plötzlich zu einer kurzzeitigen Erblindung eines Auges oder werden Bilder doppelt gesehen? Im Gesicht kann geschaut werden, ob der Mund schief ist, bei den Armen kann durch ein Ausstrecken sichtbar werden, ob schon eine motorische Schwäche da ist. Wenn die Handflächen nach oben gedreht werden, kann man darauf achten, ob sich die Handfläche nach unten dreht. Durch Sprechen einfacher Sätze wie „Ich heiße …“ bemerkt man, ob die Sprache noch funktioniert. Wenn eines dieser Dinge auffällig ist, zählt schnelles Handeln. Nicht abwarten, ob es vielleicht besser wird, nicht hinlegen oder in der Warteschleife in der Hausarztpraxis hängenbleiben, sondern direkt 112 wählen. Als Betroffene:r keine Scheu haben, umgehend um Hilfe zu bitten! Lieber früh als zu spät!
Wie hat sich Ihr Blick auf das Thema Schlaganfall als Notfall durch Ihre eigene Betroffenheit verändert – sowohl als Ärztin als auch als Patientin?
Im Alltag bin ich aufmerksamer für meine Umgebung geworden. Ich gucke nicht weg, wenn sich jemand scheinbar inadäquat verhält, und frage mich: Könnte dieser Mensch schnelle Hilfe gebrauche? Ich spreche schneller fremde Menschen an, ob sie Unterstützung möchten.

Als Ärztin sehe ich, wie wichtig es ist, auch wenn es schnell gehen muss, mit den Betroffenen zu reden, sie in die Entscheidungen einzubinden oder zu erklären, warum das Vorgehen so oder so ist. Empathie ist trotz allem Pragmatismus sehr wichtig. Auch wenn es für Ärzt:innen ein normaler Notfall ist, für die Patient:innen ist die Situation fremd und beängstigend.

Zur Person Magdalena Gössling

"Wieder Werden"
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