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Henning Baum im Interview

03.03.2025
5 min
Portrait Henning Baum

„DIE POLITIK SOLLTE MIT DEN EINSATZKRÄFTEN SPRECHEN!“

Herr Baum, Sie sind Schauspieler und ausgebildeter Rettungssanitäter. ​ Vor kurzem (Mitte 2023) waren Sie in der RTL-Dokumentation ‚Einsatz für Henning Baum‘ zu sehen. ​ Was war Ihr Eindruck vom Zustand des Rettungsdienstes?
Ich denke schon, dass wir ein qualitativ hochwertiges Rettungssystem haben, in dem Menschen mit einem profunden Wissen arbeiten. ​ Während der Dreharbeiten habe ich fast ausnahmslos Menschen kennengelernt, die robust und einfühlsam waren – und das fand ich sehr beeindruckend und bemerkenswert. ​ Aber natürlich hat das System auch seine Schwierigkeiten und Schwächen, die korrigiert werden sollten. ​ - „Die Schnittstellen sind die Leiter der kommunalen Rettungsdienste, hier könnte man sicher die Strukturen noch verbessern.“ ​
„Die Schnittstellen sind die Leiter der kommunalen Rettungsdienste, hier könnte man sicher die Strukturen noch verbessern.“
Henning Baum
Welche zum Beispiel?
Die Schnittstellen sind die Leiter der kommunalen Rettungsdienste, hier könnte man sicher die Strukturen noch verbessern und zudem die Steuerungssysteme optimieren. ​ Experten von höherer Ebene sollten gemeinsam mit diesen Leitern und den Einsatzkräften herausarbeiten, wie das funktionieren könnte. ​
Ein Problem sind auch die Menschen, die die 112 wählen, obwohl ihnen nichts wirklich Ernsthaftes fehlt.
Genau. Zuallererst müsste bei den Anrufern schon am Telefon viel genauer abgefragt werden, wie dringend die Sache ist. ​ Dann müsste wahrscheinlich der Rettungswagen auch nicht so häufig ausrücken und wäre für die wirklichen Notfälle da. ​ Aber genau da liegt das Problem: Die Bürger sind nicht in der Lage oder vielleicht auch gar nicht willens, ihr Unwohlsein wirklich ernsthaft einzuschätzen oder zu artikulieren. ​
… und wählen dann die 112, weil sie denken, sie haben Anspruch auf diese Notversorgung.
​Der Bürger begreift einfach das System nicht; er denkt, es steht ihm etwas zu – und das ist grundsätzlich ja auch so. ​ Aber immer, wenn einem etwas zusteht, ist genau das auch mit Vorsicht zu genießen und sensibel zu handhaben. ​ Und diejenigen, die das nicht tun, sorgen dann für die Überlastung des Systems. ​ Allerdings ist das ja eine Entwicklung, die nicht nur auf den Rettungsdienst beschränkt ist – das hat ja auch viel mit dem allgemeinen Anspruchsdenken und der Bequemlichkeit vieler Menschen zu tun. ​
Wie könnte man das Ihrer Meinung nach ändern?
Das beginnt doch schon bei der Erziehung der Kinder, innerhalb der Familie und dem Miteinander grundsätzlich in der Gesellschaft. ​ Die Politik kann niemanden wirklich erziehen, das müssen die Menschen schon selbst kapieren, dass es so eigentlich nicht geht.
Wie geht’s den Einsatzkräften in Deutschland, was meinen Sie?
Während der Dreharbeiten haben mir die Feuerwehrleute in Berlin klar gesagt, dass sie das Gefühl haben, richtiggehend verschlissen zu werden. ​ Die Einsatzzahlen werden immer höher, die Art der Einsätze – wie eben solche zu Menschen, die keine Notfälle sind, sondern eigentlich in dem Moment sogar zu Fuß zum Hausarzt gehen könnten – nimmt immer mehr zu. ​ Hier täte die Politik gut daran, einmal mit denjenigen Menschen zu sprechen, die vor Ort im Einsatz sind. ​ „Man darf nicht immer alle Entscheidungen am Schreibtisch treffen, sondern man muss raus und mit den Menschen auf der Straße sprechen.“ ​
„Man darf nicht immer alle Entscheidungen am Schreibtisch treffen, sondern man muss raus und mit den Menschen auf der Straße sprechen.“
Henning Baum
Das wäre ein wichtiges Signal für die Rettungskräfte.
Absolut darum geht es. ​ Man darf nicht immer alle Entscheidungen am Schreibtisch treffen, sondern man muss raus und mit den Menschen auf der Straße sprechen – mit den Menschen, die an vorderster Front stehen. ​ Wenn man nicht mit diesen Menschen spricht, dann übergeht man die, und das ist meiner Ansicht nach ein hohes Maß an Geringschätzung gegenüber den Einsatzkräften, die jeden Tag für die Gesellschaft da sind. ​ Es darf einfach nicht sein, dass sie nicht gehört werden! ​
Zum Beispiel auch, wenn es um die Aufarbeitung der Erlebnisse in der Silvesternacht 2022 geht, in der Einsatzkräfte massiv angegriffen wurden.
Was da passiert ist, kann ich nicht nachvollziehen. ​ Was geht in diesen Leuten vor, die Retter angreifen? ​! Hier müssen Politik und Gesellschaft ganz genau hinschauen, hier müssen klare Zeichen gesetzt werden, dass so etwas nicht bei uns geduldet wird und dass solche Zustände untragbar sind. ​
Sorgen solche Erlebnisse und die steigende Aggressivität der Menschen gegenüber den Einsatzkräften für zunehmenden Frust bei den Rettern?
Ja klar, der Frust ist schon da. ​ Und die Gewalt und die Respektlosigkeit gegenüber den Rettern haben in den vergangenen Jahren definitiv zugenommen – auch wenn man ganz ehrlich sagen muss, dass es das in einer gewissen Form auch vor 30 Jahren schon gab, als ich als Rettungssanitäter meinen Zivildienst abgeleistet habe. ​ Grundsätzlich hatte ich aber während meiner Einsätze für die RTL-Doku schon das Gefühl, dass sich die meisten Menschen freuen, wenn die Retter kommen. ​ Das größte Problem sehe ich eher in diesem boshaften Narzissmus vieler Menschen: Da werden die Aggressionen gegenüber den Rettungskräften sogar noch gefilmt und ins Netz gestellt, das ist für mich unfassbar. ​ Und dagegen muss man sich auch klar wehren und öffentlich Position beziehen. ​

ZUR PERSON Henning Baum

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