Der Notruf wird 50!

Die Notrufnummern 110/112 kennt heute jedes Kind. Und wir wissen: Wenn wir den Notruf wählen, erhalten wir sicher Hilfe. Doch ein zuverlässiger Notruf war nicht immer selbstverständlich. Tatsächlich gibt es den einheitlichen, bundesweiten Notruf erst seit 1973.
Die Geschichte des Notrufs
Die Geschichte der Notrufnummern 110/112 ist eng mit der Entwicklung des deutschen Telefonnetzes verbunden und beginnt in den 1930er Jahren. Neben den Telefonnummern wurden damals auch sogenannte Servicenummern eingerichtet, die mit der 101 als Nummer der Vermittlungsstelle begannen. Weitere Servicenummern folgten über die Jahre. Anfang der 50er Jahre wurde die Ziffernfolge 110 für die Polizei festgelegt. Aus technischen Gründen musste die 111 übersprungen werden, da das damalige Impulswahlverfahren bei der Nummernfolge 1-1-1 in den Vermittlungsstellen eine Störung auslöste. Daher folgte auf die 110 die 112 für die Feuerwehr. Seit 1956 gibt es in Deutschland zwar die Notrufnummern 110/112 – allerdings waren sie zunächst nur in wenigen Großstädten verfügbar. Damit blieben große Teile der Bundesrepublik ohne zuverlässige Notfallversorgung.


Ute und Siegfried Steiger wollen das Notfallsystem verbessern
Ausgerechnet eine Familientragödie ist schließlich der Wegbereiter zum bundeseinheitlichen Notruf: Am 3. Mai 1969 wird der achtjährige Björn Steiger in einen Autounfall verwickelt, Hilfe ist erst eine Stunde später vor Ort, obwohl Passanten sofort Polizei und Rotes Kreuz verständigen. Björn stirbt nicht an seinen Verletzungen, sondern in Folge eines Schocks. Trotz des tragischen Unglücks verharren Ute und Siegfried Steiger nicht in ihrer Trauer, sondern beschließen, im Namen ihres verstorbenen Sohnes eine Stiftung zur Verbesserung der Notfallversorgung in Deutschland zu gründen. Ab dem Moment der Gründung setzt sich die Stiftung für die Einführung einer bundeseinheitlichen Notrufnummer ein und wendet sich an die Politik. Der damalige Bundespostminister Horst Ehmke hat große Sympathien für Steigers Anliegen, sieht sich politisch aber außerstande, seine Idee umzusetzen. Zwar wird im Bundestag mehrfach über dieses Thema debattiert – allerdings herrscht die politische Meinung vor, dass dieses Vorhaben finanziell nicht umsetzbar sei. Genaue Zahlen zur Finanzierung werden nie vorgelegt.
Nicht finanzierbar? Von wegen!
Im Juli 1973 will Siegfried Steiger die Unfinanzierbarkeit selbst überprüfen und stellt bei der Oberpostdirektion Stuttgart die telefonische Anfrage, ob man ihm sagen könne, wie hoch die Kosten für den damaligen Regierungsbezirk Nordwürttemberg, der aus 19 Landkreisen und kreisfreien Städten bestand, seien. Zu seiner Überraschung erhält er noch am selben Tag ein verbindliches Angebot über 387.000 DM. Für die Stiftung alleine ist dies eine große Summe, bei einer Teilung durch die 19 Landkreise und kreisfreien Städte wird sie aber durchaus überschaubar. Weil die Gesamtsumme nach dem paritätischen Prinzip zu gleichen Teilen auf alle umgelegt wird, geht die Rechnung auf.


Die Klage
Am Tag, an dem die Einführung gerade gefeiert und die Finanzierbarkeit für Nordwürttemberg bewiesen wird, beschließt der Deutsche Bundestag, die Einführung der Notrufnummern 110/112 wegen Unfinanzierbarkeit abzuweisen. Doch trotz dieser Entscheidung des Bundestags gibt Siegfried Steiger nicht auf und kämpft entschlossen weiter. Da alle Bemühungen zunächst erfolglos bleiben, klagt er im August 1973 gegen die Bundesrepublik und exemplarisch gegen das Land Baden-Württemberg auf „Vorsätzliche unterlassene Hilfeleistung“ vor dem Verwaltungsgericht. Zwar ist ihm klar, dass die Klage an sich keine Aussicht auf Erfolg haben würde, weil dafür die juristische Grundlage fehlte. Sein Hauptziel ist es daher, dass über die Klageeinreichung und einen von ihm angestrebten gerichtlichen Erörterungstermin das Thema eine bundesweite mediale Öffentlichkeit erreicht, die weiter Druck aufbaut.
Der Erfolg
In dem jungen Richter Siegfried Kasper findet Steiger einen wichtigen Unterstützer. Die Klage wird zwar erwartungsgemäß aus formaljuristischen Gründen von Richter Kasper abgewiesen, doch er hält gegenüber dem anwesenden Journalisten Siegfried Clemens ein flammendes Plädoyer. Darin betont er, wie wichtig diese Angelegenheit sei und dass diese leider nicht juristisch, sondern nur politisch lösbar sei. Der Fall zieht wie erwartet eine enorme Aufmerksamkeit der Medien und Öffentlichkeit nach sich. Dadurch wird der Druck auf die politischen Entscheidungsträger so groß, dass die Ministerpräsidentenkonferenz am 20. September 1973 im Beisein des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt schließlich die bundesweite Einführung der Notrufnummern 110/112 beschließt. Dieser Beschluss läutet eine Zeitenwende ein: Viele Menschen, die zuvor ihr Leben aufgrund der schlechten Notfallversorgung verloren hätten, können nun gerettet werden.


Die 112 setzt sich weltweit als Notrufnummer durch
Im Dezember 1979 wird das letzte Ortsnetz in der Bundesrepublik mit den Notrufnummern eingerichtet, die 112 wird zum weltweiten Standard und zum einheitlichen europäischen Notruf. Am 29. Juli 1991 beschließt der EU-Ministerrat auf Vorschlag der EU-Kommission den für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Euronotruf 112. Inzwischen ist die Notrufnummer 112 in ganz Europa in allen Kommunikationsnetzen installiert, weltweit ist in allen Mobilfunknetzen die Notrufnummer 112 und parallel auch die 911 anwählbar. Die Nummer 112 hilft somit weltweit, im Notfall schnell Hilfe rufen zu können. Letztendlich ist dies ein Verdienst des unermüdlichen Einsatzes und der Vorarbeit der Björn Steiger Stiftung über einen langen Zeitraum hinweg.